Die Hochtour, Besteigung der Hohe Wilde, Juli 1979

Am 27. Februar hatte unser Bergfreund Dr. Braun aus Hannover seinen 70. Geburtstag. Ursula und ich hatten aus diesem Anlaß eine kleine Festschrift für ihn verfaßt. Ursula hatte das Titelblatt gezeichnet und ich den Text geschrieben. Das Ganze hatten wir „Die Hochtour“ genannt. Es ging darin um die Beschreibung einer Gipfeltour auf den Schnalser Kamm im Vorjahr vom Pfossental aus, die recht deutlich und detailliert unsere Verfaßtheiten beim Bergsteigen schilderte und als Ergänzung zu Christophs schon wiedergegebenem Hausaufsatz über die Besteigung der Finailspitze gelten kann. Ich möchte die Schrift deshalb wenigstens auszugsweise hier zitieren:

„.... Bei allem vergeht der Abend, und niemand findet Zeit, sich früher als üblich aufs Ohr zu hauen. Und als es dann soweit ist, hat es jeder und im besonderen das Alter, schwer mit dem Einschlafen; man ist aufgedreht, grübelt, durchlebt – halb im Schlaf, halb wach – die Strapazen und Beschwernisse des kommenden Tages im voraus, macht sich – wahrscheinlich unnötig – allerhand Sorgen und wälzt sich im Bett. Die Kirchturmuhr schlägt Mitternacht, schlägt eins. Gelegentlich zeichnen ferne Autoscheinwerfer helle Lichtflecken an die Zimmerdecke. Letzte Wirtshausgäste torkeln grölend heimwärts. Ein Sportwagen wird röhrend angelassen und – in südländischer Großmannssucht – mit quietschenden Reifen gestartet. Die letzte Hoffnung auf ein bißchen Schlaf verfliegt – aber der muß schließlich doch wohl gekommen sein; denn der Wecker rasselt unerwartet jäh.

Aufstehen! Ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht, in die bereitliegende Wanderkleidung steigen, jeden Einzelnen der Gesellschaft wecken, den Doktor zuerst, den nur vorsichtshalber. Wie immer bei solcher Gelegenheit öffnet er auf das leise Klopfzeichen hin schon fast reisefertig die Tür. Man bewegt sich auf Zehenspitzen, redet nur flüsternd miteinander, vermeidet unnötige Geräusche; denn Feriengäste wollen ihre Nachtruhe haben, und das Haus ist voll davon.

Das nächtliche Frühstück bereitet keinen Genuß. Man würgt die zähen Marmeladenbrötchen mit viel Tee hinunter, nur um überhaupt etwas im Magen zu haben. Die Unterhaltung fließt spärlich, ist belanglos. Wir stopfen die Jausenpakete und Teekannen in die fast schon vollen Rucksäcke und schleichen taschenlampenbewaffnet aus dem Haus. Die Kofferräume der Wagen nehmen das Gepäck auf. Ein Blick zum sternenübersäten, völlig wolkenlosen Himmel. Sein diamantklares Gefunkel und der für eine Julinacht außergewöhnliche Eishauch der Luft stimmen mehr als zuversichtlich. Sie geben die Garantie für ideales Bergwetter.

Die Abfahrt verzögert sich. Christoph sucht seinen Wagenschlüssel. Er findet ihn weder in der Bauernstube, weder im eigenen noch im Elternschlafzimmer, sondern nach aufregendem, von Joachim unterstütztem und mit aller Behutsamkeit, die Schläfer nicht zu stören, betriebenem Suchen – in der eigenen Hosentasche.

Ein Stoßgebet – dann Start in die Nachteinsamkeit. Im Schnalstal sind wir zur Zeit die einzigen Kraftfahrer. Unsere Scheinwerfer tasten an Hängen und Felsschroffen entlang. Büsche und Bäume heben sie gespensterhaft hervor, Schluchten überspringen sie, löschen gleichsam ihre Existenz. Den Fahrer, den sie so nicht täuschen können, macht das nur vorsichtiger. Kurz vor Nassereith die einzige Begegnung mit einem Fahrzeug – sicher ein allzu später Zecher. Dann quälen sich die Motoren im ersten Gang die Serpentinen zum Vorderkaser hoch. Tunnel. Pestkapelle. Parkplatz. Aussteigen!

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