Die Uhr aus Josefs Kriegstagebuch

Im Lager 58 Ryasan 2 - Bis jetzt hatte mir niemand meine Armbanduhr abgenommen. Mit dem Zauberwort „registriert“ hatte ich sie durch alle Filzungen hindurch retten können. Ich war also lange Zeit als eines der seltenen Exemplare uhrentragender deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion eine Ausnahme. Das war zumindest mit dem Nachteil verbunden, daß ich, wo ich auch ging und stand, nach der Uhrzeit gefragt wurde. Ich weiß heute nicht mehr, bei welcher Gelegenheit und auf welche Weise mein Kopf die Idee gebar, der lästigen Fragerei ein Ende zu bereiten. Ich sagte mir, es müsse doch möglich sein, auf dem Lager-Appellplatz so etwas wie eine Turmuhr zu errichten, mit deren Hilfe sich jeder an genauer Tageszeit Interessierte orientieren könnte. Und wenn Peter Henlein in Nürnberg es fertiggebracht hatte, eine Taschenuhr in feinster Mechanik von Hand zu bauen, dann müßte das grobe Uhrwerk einer Turmuhr auch von einem Nichtfachmann mit notdürftigem Werkzeug herzustellen sein. Ich arbeitete damals im Walde beim Holzeinschlag. Dazu brauchte man im wesentlichen die Knochen, weniger den Kopf. Kurz und gut, ich hatte Zeit genug, mir die technischen Einzelheiten zu überlegen und am Abend, nach der Rückkehr aus dem Walde, zu skizzieren. Es gab zwar kein Papier. Aber es fand sich genug Birkenholz, aus dem sich leicht feine Brettchen spalten und mit Glasscherben glätten ließen und auf die ich mit meinem zweiten "Schatz", einem kurzen Bleistiftstummel, auch schreiben und zeichnen konnte. So entstand nach und nach der exakte Plan einer Turmuhr, von dessen Brauchbarkeit ich zweifellos überzeugt war...

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  • Quelle:
    In Deutschland nicht veröffentlicht

Autor
Josef Hendricks

Ausschnitt aus einer Lesung im Café Noir am 13. März 2013 in Heid, Wenden

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